Vaginismus und Sextoys

Vaginismus und der Umgang damit

Welche Rolle können Sextoys dabei spielen?

Stefanie Dörr im Interview mit Petra Benz FFGZ Berlin für Clio

Clio: Was wird unter Vaginismus verstanden?

Stefanie Dörr:
Vaginismus ist die unwillkürliche, oft schmerzhafte Verspannung und Verkrampfung der Beckenbodenmuskulatur im unteren Bereich der Vagina. Zum Teil auch der Oberschenkelmuskeln und der Dammmuskulatur. Die Muskulatur wird unwillkürlich und nicht kontrollierbar angespannt, auch wenn die Betroffene das möchte.

Es gibt zwei Arten von Vaginismus. Den Primären und den Sekundären. Beim Primären taucht der Reflex beim Einführen von etwas Gewünschtem in die Vagina auf. Er taucht auch auf, wenn ein Finger, ein Penis, ein Erotikspielzeug, Menstasse o.ä. in die Vagina versucht wird einzuführen. Auch im Kontext der Untersuchung bei der Frauenärztin. Es geht dann nichts einzuführen.

Sekundärer Vaginismus taucht auf bei Frauen, die irgendwann Sexualität gelebt haben und in deren Sexualität „etwas Gewünschtes“ von der Vagina aufnehmbar war.

Es gibt verschieden starke Ausprägungen beim Primären und Sekundären Vaginismus und auch noch weitere Formen, bei denen das Eindringen möglich ist: Dyspareunie und Vulvodynie. Diese haben ähnliche Heilungsansätze. Die verschiedenen Formen sind schwierig und manchmal gar nicht voneinander abgrenzbar.

Die gute Nachricht ist, dass alle gut behandelbar sind. Und, dass bei allen Formen der Heilungsweg der gleiche ist. Jede Frau kann zu einer erfüllten Sexualität finden. Es ist immer ein individueller Prozess der Zeit braucht. Und es bedarf der Entscheidung und den Willen der Frau, dran zu bleiben.

Was sind die Ursachen von Vaginismus?

Die Ursachen und Hintergründe, sind verschieden und facettenreich und gehen über die rein körperliche Ebene hinaus. Vaginismus kann die Nachwirkung einer Operation, von Traumen der Vergangenheit, nach einer schwierigen Blasenentzündung, lange Lustlosigkeit im Leben mit sich und/oder in der Beziehung und nicht gelebte oder vermiedene Sexualität als Ursache haben. Manchmal ist der Grund auch nicht so greifbar.

Es macht natürlich was mit der Frau, wenn sie z.B. in einer Beziehung mit einem Mann ist, und der Sex nicht mit dem Penis des Mannes in ihrer Vagina sein kann.

Manche Frauen merken bei der Frauenärztin, dass die Untersuchung nicht geht und sie das verändern möchten. Oder sie vermeiden generell die Frauenärztin. Zu uns in den Laden und zu mir in die Sexualberatung kommen Frauen, die nach längerem solo sein gerne wieder in einer Liebesbeziehung leben möchten. Manche merken dann erst, dass sie nichts „mehr“ in ihre Vagina aufnehmen können, weil diese verkrampft. Das ist emotional sehr belastend und bedarf den Mut und viel Achtsamkeit, daran etwas zu verändern. Vaginismus ist weitestgehend ein Tabuthema. Und mit Scham besetzt.

Gibt es bei Lesben auch Vaginismus?

Ja, das gibt es auch bei Lesben. Je nachdem, wie Lesben ihre Sexualität leben, wird dies wahrgenommen und entdeckt. Wenn die Frau sich ok damit fühlt, dass sie entweder keinen Finger, erotische Spielzeuge oder Hygieneartikel während ihrer Mens in sich einführen kann, wird es meist nicht als Problem wahrgenommen.

Die Sexualität von Lesben wird ja mit einer anderen Frau gelebt. Die Partnerin hat wie sie eine Vagina und kein Sexualorgan, das beim Sex in ihr aufgenommen werden soll, sondern es können die Finger der Partnerin oder ein Erotikspielzeug sein. Ein Finger ist auf jeden Fall leichter einzuführen als ein Penis. Und die Sexualität wird, je nachdem wie neugierig, experimentierfreudig und selbstbewusst das Frauenpaar ist, oft nicht als einschränkend erlebt, wenn es nicht möglich ist oder „nur“ möglich ist, einen Finger einzuführen.

Es gibt eine gewisse Unabhängigkeit in der lesbischen Sexualität auch in der Hinsicht, dass es für manche Frauen als ausreichend und erfüllend erlebt wird, außerhalb ihrer Vagina genussvoll ihre Venuslippen, Vulva, Klitoris, Brust und noch viele weiteren körperliche Lustgebiete zu erforschen und zu genießen. Für sie kann es ein Anlass sein, auf vielfältigste Arten ihre Lust mit sich und der Partnerin zu leben.

Wenn eine lesbische Frau oder ein sich als queer definierender Mensch mit Vagina, über Insemination schwanger werden möchte, dann kann der Beckenboden und die eigene angespannte und unkontrolliert sich verkrampfende Vagina, die nichts oder vielleicht zu wenig in sich aufnehmen kann zum Thema werden. Dies kann ein Anlass sein, den Vaginismus heilen zu wollen.

Wie kann sich etwas ändern? Soll ich Übungen für mich machen oder beim Sex mit der Partner:in?

Auf jeden Fall alleine. Das Gute ist, es gibt ja noch mehr sinnliche, sexuelle Möglichkeiten als das Eindringen in die Vagina. Die Klitoris und das Äußere der Vagina, die Venuslippen, Brüste, der ganze Körper... Wichtig auf dem Heilungsweg ist es, den eigenen Schoßraum positiv zu benennen, mit Worten, die sich angenehm für die Frau anfühlen und schöne Assoziationen hervorrufen. Das kann jede für sich selbst herausfinden oder sich Unterstützung holen. Langsam und achtsam in kleinen Schrittchen vorgehen.

Aus meiner Erfahrung in der Beratung weiß ich, dass alle Frauen da raus kommen können. Es braucht Engagement und ihr eigenes Tempo. Der Weg ist sehr unterschiedlich. Es ist ähnlich wie beim Erlernen eines Musikinstruments, je mehr Engagement reingegeben wird, umso besser geht es. Es ist wichtig, zu lernen, sich zu entspannen.

Schulmedizinisch gibt es eigentlich keine wirklichen Behandlungsmöglichkeiten.

Was genau bietest du im Zusammenhang mit Vaginismus an?

Eine Möglichkeit ist die Einzelberatung mit Terminvereinbarung. Dies bietet der Frau Ruhe und Sicherheit beim ungestörten Beratungsgespräch unter vier Augen. Es findet bekleidet und ohne Körperberührung statt. Sie kann sich mitteilen und ich höre ihr achtsam, mitfühlend und respektvoll zu. Nehme Anteil an ihren Erfahrungen und ihrem körperlich-seelischen Leiden. Manche Frauen sprechen das erste Mal überhaupt über ihre Probleme. Ich höre zu und bin ohne Vorurteile, ich respektiere sie und nehme ihre Probleme ernst. Wir können die Ängste und Befürchtungen anschauen und damit arbeiten. Ich erkläre z.B. Vulva und Vagina. Viele wissen das gar nicht, dass es nicht nur vorne die Perle ist, sondern die Klitoris auch Bulben hat.

Im geschützten Gespräch bilden sich weitere kleine Schritte für den Heilungsprozess heraus. Die Frauen sind sehr motiviert. Ich zeige eine dafür geeignete Atem- und Beckenbodenübung, die sie als Hausaufgabe zuhause macht. Wenn Frauen konkret etwas machen können, bekommen sie mehr Sicherheit.

Wenn sie möchte, zeige ich ihr Dehnungshilfen, Dilatatoren und Vibratoren die geeignet sein könnten für sie. Und die Frau kann weiterschauen, ob sie alleine für sich weitergehen möchte oder mit Unterstützung durch mich als Sexualberaterin oder in einer Sexualtherapie.

Die zweite Möglichkeit ist ein Besuch im Laden während den Öffnungszeiten. Der Laden lädt zum Entspannen und Wohlfühlen ein, das sagen Frauen, die uns besuchen. Hier ist die Gelegenheit, dass wir etwa 15 Minuten unter vier Augen sprechen können, das ist eine erste kleine und kostenlose Beratung die ich gerne anbiete. Gut ist, wenn die Frau dabei etwas Zeit mitbringt, falls vor ihr noch andere Besucher:innen im Laden sind und sich dadurch eine Wartezeit ergibt. Hier berate ich vor allem über die Verwendungsmöglichkeit von Dilatoren und Vibratoren, die bei Vaginismus und Dyspareunie geeignet sind. Mit dem Dilatoren-Vaginaltraining lernen die Muskeln, wie sie sich im richtigen Moment entspannen können.

Wir haben bei uns im Berliner Laden und im Onlineshop Dilatoren, auch Dehnungsunterstützung von mir genannt, in fünf verschiedenen Durchmessern. Beginnend von einem kleinen Finger breit, die nächste Größe ist jeweils wenige Millimeter breiter. Die Frau kann sie ansehen und anfassen, die Oberfläche und die Materialität fühlen.

Die Dilatatorensets sind weich und biegsam. Da sie aus medizinischem Silikon sind, riechen sie auch nicht komisch nach Kunststoff. Sie sind aus gesunden Inhaltsstoffen, das ist wichtig. Es wird mit dem kleinsten Durchmesser begonnen, Nach und nach wird der nächst dickere Durchmesser verwendet. Wichtig ist, dass dabei wasserlösliches Gleitmittel z.B. mit pflanzlichem Hyaloron verwendet wird, es wird auf den Dilatator und auch möglichst auf die Venuslippen und den Vaginaeingang mit dem Finger aufgetragen.

Schon der Besuch der Einzelberatung oder der Kurzberatung im Laden ist ein mutiger Schritt für die Frau, trägt aber sehr zur Stärkung des Selbstbewusstseins bei. So ist es möglich, die eigenen Ängste zu überwinden und „selbstbestimmte“ Erfahrungen zu machen.

Was empfiehlst du für den Heilungsweg?

Ich empfehle, wenn möglich, das Sprechen über Sexualität zu üben, also mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln, indem man sich traut, darüber zu sprechen. Und Atem- und Entspannungsübungen sowie Körperdehnungen zu machen, erst später dann mit den Dilatatoren zu üben. Es geht darum, dass der Kopf und die Muskeln lernen, wie sie sich im Laufe der Zeit „bewusst“ entspannen können.

Es gibt viele Ängste und jede Frau hat ihre persönliche Biografie. Damit kann gearbeitet werden. Hier ist mein Angebot der Einzelberatung eine weitere Unterstützungsmöglichkeit für die Frau auf ihrem persönlichen Heilungsweg, die sich gerne ein, zwei oder mehr Stunden für ihre Unterstützung wünscht. Die Heilung von Vaginismus ist noch ein Tabuthema, aber es ist zwischenzeitig mehr Wissen vorhanden. Es braucht das Gespräch, so dass die Frauen mutiger werden, dass es selbstverständlicher wird.

Es ist immer ein individueller Prozess der Zeit braucht. Und es braucht die Entscheidung und den Willen der Frau, dran zu bleiben.


Stefanie Dörr

Sie ist seit 26 Jahren Inhaberin von playstixx, des Berliner Erotikshops für Frauen* und alle die sie lieben... mit eigener Manufaktur. Sie bietet im Laden Beratungen zu Vaginismus und Dilatatoren und weiteren Themen an. Stefanie Dörr ist Sexualberaterin. www.playstixxshop.de

Hier findest du den Link zu Dilatoren in unserem Onlineshop.
Falls du in Berlin lebst oder eine Berlinreise planst: Wir laden dich herzlich ein, uns im Berliner Laden zu besuchen, wir beraten gerne.


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